Autor Thema: ins Leben entlassen....  (Gelesen 5607 mal)

Waltzing Mathilda

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ins Leben entlassen....
« am: April 07, 2013, 15:59:46 Nachmittag »
Da wir im Heim zum Sommer einen Lehrling einstellen werden, waren nun drei „Testkandidaten“ zum Probearbeiten („Hospitation“) bei uns.
Alter: zwischen 16 und 31 (!).
Nunja, der 31-jährige war eine Ausnahme. Der hat angeblich jahrelang seine Großmutter gepflegt. Aber eine Ausbildung hat er nie gemacht, sondern von den Mieteinnahmen der Häuser seiner Eltern gelebt….
Was mich immer wieder überrascht, sind die verschiedenen Entwicklungsstufen, die diese jungen Leute zeigen.
Manche sind noch vom Leben völlig unbeleckt, haben außer der Schule scheinbar keinerlei Erfahrung.
Andere sind wesentlich weiter: offener im Umgang, selbstbewußter, kaum schüchtern, selbständig, mit schneller Auffassungsgabe und wißbegierig.
Manche haben auch schon erstaunliche Kenntnisse im angepeilten Fachgebiet.

Und ich frage mich: wissen Schulabgänger bzw. Schüler, die sich um eine Lehrstelle bewerben, eigentlich, was sie erwartet und worauf es ankommt?
Schüler, die ein sehr gutes Zeugnis haben, aber bei solcher Hospitation kein Engagement zeigen, keine Fragen stellen, schüchtern sind und denen man anmerkt, daß all ihre Lebenserfahrung auf die Schule beschränkt ist, haben meist keine Chance.
Sie mögen noch so  viel Potential haben. Aber Bewerber, die soviel „Persönlichkeit“ bereits mitbringen, sind weit voraus.

Wenn ich an meine Zeit zurückdenke, gehörte ich zur ersteren Sorte.
Ob ich heute mit meiner damaligen Persönlichkeit überhaupt eine Chance hätte?

Werden Schulabgänger eigentlich auf solche Dinge vorbereitet?
Nach allem, was ich so gehört und erfahren habe, haben Lehrer meist selbst keine Ahnung.
Sie haben studiert und sind eben Lehrer geworden. Von der freien Wirtschaft und wie man sich in ihr behauptet, haben sie oft genug keinen blassen Schimmer.

Ich bin heilfroh, heute kein Schulabgänger zu sein…..

Martina

  • Gast
Re: ins Leben entlassen....
« Antwort #1 am: April 07, 2013, 16:43:23 Nachmittag »
Vertsehe was du meinst Mat, wie weit waren wir als wir 16 oder auch 31 waren ?!
Das Potential ist vielleicht da, aber es muss auch noch entwickelt werden.
Wieviel Lebenserfahrung kann man mit 16 schon haben ? Und ist Lebenserfahrung nicht einer der grössten Vorteile die man haben kann ?!
Ich bin vor ein paar Jahren 'ausgestiegen' aus dem 'Gesundheitswesen'.
Ich dachte es kánn doch so nicht weiter gehen ?!
Aber dann realisierte ich mir dass die Leute die jetzt nách kamen es ja gar nicht anders kannten. Für die war das alles ja ganz gewöhnlich.
Ich fürchte also dass es nicht mehr besser werden wird, im Gegenteil.
Der Beruf für den ich mich mit voller Überzeugung in 1994 entschieden hatte war letztendlich nicht mehr méin Beruf. Das tat weh, sehr weh, aber es ist eben nicht anders.
Es blieb mir keine andere Wahl als für mich selbst zu wählen. Keine leichte Entscheidung, écht nicht !
Aber dies ist nur eine Geschichte aus hunderten, das nehme ich mal so an.
Ich hab eigentlich keine Worte für das was zur Zeit alles passiert. Ich finde es sehr traurig und ich finde es auch nicht können, aber wer bin ich . . .  ?

Waltzing Mathilda

  • Gast
Re: ins Leben entlassen....
« Antwort #2 am: April 07, 2013, 20:24:50 Nachmittag »
Verstehe was du meinst Mat, wie weit waren wir als wir 16 oder auch 31 waren ?!
Einerseits das, andererseits denke ich, daß die Unterschiede damals recht überschaubar waren.
Was ich aber bei den unsrigen Testkandidaten erlebt habe, hat mich verblüfft. Es reichte von "junger Erwachsener" bis "Kind".
Vielleicht trügt mich meine Erinnerung, aber eine solche Bandbreite kenne ich von früher nicht.

Zitat
Das Potential ist vielleicht da, aber es muss auch noch entwickelt werden.
Hierin liegt eben das Problem: das größte Potential nutzt nichts, wenn es brach liegt.
Nur die wenigsten haben die Chance, dieses Potential zu entwickeln.
Als "Azubi" genommen wird der, der bereits ein hohes Maß an Entwicklung mitbringt.

Zitat
Wieviel Lebenserfahrung kann man mit 16 schon haben ?
Manch einer engagiert sich schon als Teenager in Vereinen, läßt sich zum Klassensprecher wählen, sucht "Führungsrollen".
Oder jobbt in den Ferien und lernt die Arbeitswelt kennen.
Andere kennen nur Schule und Hobbies.

Zitat
Und ist Lebenserfahrung nicht einer der grössten Vorteile die man haben kann ?!
Wohl dem, der als Jungspund schon viel davon hat  wist

Zitat
Ich bin vor ein paar Jahren 'ausgestiegen' aus dem 'Gesundheitswesen'.
(...)
Aber dann realisierte ich mir dass die Leute die jetzt nách kamen es ja gar nicht anders kannten. Für die war das alles ja ganz gewöhnlich.
Ich fürchte also dass es nicht mehr besser werden wird, im Gegenteil.
Der Beruf für den ich mich mit voller Überzeugung in 1994 entschieden hatte war letztendlich nicht mehr méin Beruf. Das tat weh, sehr weh, aber es ist eben nicht anders.
Machst mich neugierig.
In welchem Beruf hast Du gearbeitet?
Was waren die Gründe für den Ausstieg?
Und was machst Du heute?

Offline Fynn

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Re: ins Leben entlassen....
« Antwort #3 am: April 07, 2013, 21:27:52 Nachmittag »
 slap ihr zwei...
Und ich frage mich: wissen Schulabgänger bzw. Schüler, die sich um eine Lehrstelle bewerben, eigentlich, was sie erwartet und worauf es ankommt?
wenn ich da mal so zurückdenke, dann würde ich, - was mich betrifft - "nein" sagen. Ich habe eigentlich bis dahin immer nur die Schule und das (zwanghafte) Lernen als Horror angesehen und war zu dieser Zeit immer der Meinung, das das Arbeiten kaum schlimmer sein könnte. Und ich hatte keine Ahnung, was ich machen könnte/wollte ! Nichts, keinen Schimmer !  ao50

Meine kurzfristige Probezeit bei der hiesigen Zeitung brachte nichts. Ich saß nur in einem staubigen Büro rum und mußte winzige Anzeigen ausschneiden und verschicken, wegen der Rechnung. Super Job... kopphau okay, ich war natürlich in der Probezeit, aber irgendwie war das nichts... r23

Ich war zwar im Prinzip nie wirklich schüchtern im eigentlichen Sinne, aber auf eine bestimmte Art doch sehr zurückhaltend, konnte nie auf Menschen zugehen, das mußten schon die anderen machen ! Ich hatte natürlich immer noch keinen Plan, was ich machen sollte und so typische "Traumberufe" wie Lokführer, Baggerführer ectr gingen mir eher sonstwo vorbei. Aber da ich ja schon irgendwas tun mußte, dachte ich, ich könnte ja auch etwas für mich (!) tun. Irgendetwas, wo ich lerne mit Menschen umzugehen...zwangsläufig auf sie zugehen muss. Die glorreiche Idee es bei der Post zu versuchen hatte mein Vater. Der wußte zu berichten, das man dann eine Uniform bekommt und somit neben dem Job die Frauen frei Haus geliefert. Okay, war mir schon klar, das er das zu seiner Zeit vllt so erlebt hat, das das im Großen und Ganzen heute noch so läuft glaube ich weniger.  Aber im Außendienst bei der Post...das war für mich eine Ãœberlegung wert. Der Job selbst hat mich nicht die Bohne interessiert, ich hatte ja gar keinen Plan was genau da auf mich zukommt.  Aber eines muss ich auch sagen : ich hab's gern getan. Ich hab oft gemault, weil eben oft viel Arbeit war, aber oft war's auch so, das wir wirklich Zeit hatten und das ist durchaus nicht nur uns, sondern auch den Kunden zugute gekommen.

Ich würde auch im Nachhinein sagen, das ich tatsächlich immer lieber gearbeitet hab, als in der Schule gesessen. Da konnte man zwar nach Hause gehen, wenn die Stunde um war, ( was bei der Post noch lange nicht so ist, da macht so mancher manche unbezahlte Überstunde ! ) aber mir liegt dieses ewige Stillsitzen und Zwangslernen von Dingen, die mich überhaupt nicht interessieren, nicht. In meinem Job hab ich gelernt auf Leute zuzugehen, mit ihnen zu reden und nicht selten hab ich noch'n Kaffee da getrunken. Sogar Weihnachten hab ich mal ein älteres Ehepaar besucht. Das hätte mir in keiner Schule keiner beigebracht. Ich hatte niemals einen "Traumjob", aber manchmal hat's Spaß gemacht und was ich da privat und für mich gelernt hab, das ist schwer zu bezahlen...wenn auch ein bißchen Entwicklungssache vllt.
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Re: ins Leben entlassen....
« Antwort #4 am: April 08, 2013, 07:09:01 Vormittag »
Als ich mit 15 ins "Leben entlassen" wurde, konnte ich nichts. Ich bin heute noch böse drüber, wie wenig man auf das Leben vorbereitet wird.
Man hat Gedichte von Goethe gelernt, kann Wurzeln ziehen, Logatithmen sonstwie hochrechnen, aber nicht mal ein Überweisungsformular bei der Bank ausfüllen. Oder Geld abheben oder, oder.
Ich bin fast zugrunde gegangen in meiner Fotografenlehre, weil wir unglaublich ausgenutzt wurden, war jeden Tag mehr als 10 Stunden unterwegs. Es war furchtbar. Abgrenzung war nicht drin.

Es müsste ein Schulfach geben, dass einen wirklich auf ganz Alltägliches wie Steuerklärungen ausfüllen, Bankformulare usw. vorbereitet.
Und einen schult, sich nicht ausnutzen zu lassen.
« Letzte Änderung: April 09, 2013, 18:30:06 Nachmittag von Vivienne »
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Re: ins Leben entlassen....
« Antwort #5 am: April 08, 2013, 12:57:09 Nachmittag »

Als ich mit 15 ins "Leben entlassen" wurde, konnte ich nichts. Ich bin heute noch böse drüber, wie wenig man auf das Leben vorbereitet wird.
Man hat Gedichte von Goethe gelernt, kann Wurzeln ziehen, Logatithmen sonswie hochrechnen, aber nicht mal ein Überweisungsformular bei der Bank ausfüllen. Oder Geld abheben oder, oder.
Ich bin fast zugrunde gegangen in meiner Fotografenlehre, weil wir unglaublich ausgenutzt wurden, war jeden Tag mehr als 10 Stundn unterwegs. Es war furchtbar. Abgrenzung war nicht drin.

Es müsste ein Schulfach geben, dass einen wirklich auf ganz Alltägliches wie Steuerklärungen ausfüllen, Bankformulare usw. vorbereitet.
Und einen schult, sich nicht ausnutzen zu lassen.
Ich erinnere mich noch bestens an die Berufsschule : dort habe ich praktisch nichts gelernt, was mit meinem Beruf bei der Post zu tun hatte : ich hatte Sprtunterricht, Religionsunterricht und mußte Bahnstrecken auswendig lernen ! Was das mit der Post zu tun hat ? Nun ja, herzlich wenig... ao50 Bei den Bahnstrecken muss ich folgendes erklären : die Post wurde ja immer größtenteils per Bahn befördert. Daher war es "wichtig", das ich die einzelenen Streckenabschnitte kannte.  kopphau Wann die verschiedenen Züge in Herford ankamen zum Ein und Ausladen wußte man selbstverständlich ebenso auswendig...verrmutlich haben wir daher auch ein Religionsfach gehabt, damit man den Glauben nicht verliert... gri

Gedichte zu lernen finde ich dagegen gar nicht so schlecht, wenn auch nicht unbedingt auf der Berufsschule.  Aber auf der Hauptschule, Gymnasium oder was auch immer finde ich das schon okay, mir hat das zumindest Spaß gemacht und ich finde es auch besser als sowas am PC zu "lernen".
Es müsste ein Schulfach geben, dass einen wirklich auf ganz Alltägliches wie Steuerklärungen ausfüllen, Bankformulare usw. vorbereitet.
Und einen schult, sich nicht ausnutzen zu lassen.
Unabhängig davon finde ich auch, sollte es so etwas unbedingt geben.
Ich bin kein Mensch, der eine spirituelle Erfahrung macht, sondern ein spirituelles Wesen, das eine menschliche Erfahrung macht.

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